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Gamereactor
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Bowling in Altersheim*

Nintendo hat mit der Wii neue Zielgruppen fürs Videospielen erschlossen und viel Geld damit verdient - keine Frage. Reichtum allerdings ist gefährlich. Wie wir Bildungsbürger wissen, hat dauerhafter Erfolg noch niemandem sonderlich gut getan. Besonders Unternehmen nicht. Dort finden Allmachtsphantasien zwischen Power-Point-Präsentationen und Excel-Charts perfekten Nährboden. Eigentlich logisch, dass irgendein Marketing-Typ irgendwann durchdrehen muss, wenn sein Werbebudget zu groß wird.

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Live bewundern durfte man das Resultat eines solchen Durchdrehers bei Nintendo. Big N hatte es sich nicht nehmen lassen, die vor zwei, drei Jahren identifizierte Zielgruppe der "Grey Gamer" bzw. "Silver Gamer" (Ü55) logisch auf die "White Gamer" (Ü70) auszuweiten. Folgerichtig wurden die hochbetagten Senioren ins PR- und Werbevisier genommen. Kurzes Brainstorming: Wie kann man ordentlich Werbedruck auf diese gegen weitgehend alles außer sämtliche Krankheiten resistente Zielgruppe ausüben? 40 Sekunden später das Ergebnis: Man schickt denen einfach eine Direktmarketing-Drückerkolonne persönlich vorbei.

Bowling in Altersheim*

Also trug Nintendo ihre Erfolgskonsole nebst Wii Sports (Bowling, Golf, Tennis, Baseball, Boxen) in fünf süddeutsche Elite-Altenheime und ließen Erna, Franzl & Co. gegeneinander antreten und -rollen. Zum Glück mussten die Altvorderen nur bowlen. Erstens geht das auch im Rollstuhl. Zweitens wäre Boxen grob gesundheitsgefährdend gewesen, so hoch wie der Herzschlag selbst bei durchtrainierten Dreißigern wie mir nach einer zweiminütigen Box-Runde tickt. Hauptpreis war eine Wii, die vermutlich (vom diktatorisch veranlagten Pflegepersonal veranlasst) im Gemeinschaftsraum endet. Einziger Vorteil aus maskuliner Sicht: Da die ganzen alten Säcke im Altersheim das Patriarchat noch real erleben durften (und immer noch leben), ist Videospielen im Altersheim im Jahr 2008 Männersache. Zumindest hinter verschlossenen Gemeinschaftsraumtüren. Erdacht hat diese Idee allerdings nicht Nintendo selbst. Zwei Pädagogik-Studenten hielten das für eine schlaue Idee, Nintendo bekam Wind davon und bot Unterstützung an. Aus dem Testlauf in München wird nun eine Deutschland-Tournee. Also aufgepasst ihr Senioren in Deutschlands Altersheimen. Vielleicht steht Nintendo morgen schon vor eurer Tür.

Eigentlich will ich aber auf was anderes hinaus. Eine Idee, die mich schon 2006 mal einige Tage begleitete: das Videogame-Altersheim. Eine gute Idee, fand' ich bereits damals, wollte es aber noch privat finanzieren. Mittlerweile denke ich, dass Nintendo die "Mario & Luigi Retirement-Ressorts" schon aus gesellschaftspolitischen Gründen selbst einführen sollte. Quasi von der Krankenkasse verordnet und von Nintendo bezahlt. Immerhin haben sie Millionen Jugendliche zu leidenschaftlichen Zockern gemacht und immer wieder ihr ganzes Taschengeld geraubt. Einige 100.000 davon werden vermutlich den Rest ihres Lebens immer mal wieder Videospiele konsumieren. Als berufstätige Menschen fehlt ihnen die Zeit, und so bleiben grandiose Spiele wie The Legend of Zelda: Twilight Princess auf der Strecke. Keine Zeit zum Durchspielen gehabt, das darf 45 Jahre später auf Nintendo-Kosten nachgeholt werden. Emotional ist man dann ohnehin in der guten, alten Zeit gefangen. Die Playstation Eleven ist neumodisches Zeug, vor dem man nur Angst hat. Sollte Nintendo nicht wollen, muss halt ein anderer Sponsor her Microsoft zum Beispiel. Spielen wir halt alle gepflegt eine Runde Halo 3 auf der Xbox 360. So denn die Augen und die Gichthände noch mitmachen. Und überhaupt noch eine Xbox 360 übrig geblieben ist, deren Ringe nicht rot blinken.

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* Überschrift frei nach Michael Moore



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