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Assassin's Creed Odyssey

Assassin's Creed Odyssey

Ubisoft macht Assassin's Creed zu einer persönlicheren Angelegenheit, allerdings hat das einen hohen Preis...

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Glaubhafte, große Spielwelten zu kreieren ist eine unglaubliche Anstrengung, die häufig nicht die richtige Wertschätzung erfährt. Ich ertappe mich selbst regelmäßig dabei, verschiedene Gameplay-Elemente und Features als selbstverständlich wahrzunehmen und meine Kritik an vergleichsweise kleinen Ecken und Kanten aufzuhängen. Assassin's Creed Odyssey hat diese Diskussion in mir neu entflammt. Denn obwohl mich Ubisofts abenteuerliche Reise durch das antike Griechenland intensiv beschäftigte, gab die prinzipiell hohe Spielqualität mit wachsender Spielzeit immer mehr dem Frust ihren Raum.

Der neueste Ableger der Assassinen-Saga vereint viele Stärken und Schwächen seiner Vorgänger: Zum einen erleben wir die emotionale, wendungsreiche und persönliche Geschichte einer zerklüfteten Familie im Zeitalter des peloponnesischen Krieges, mehr als 400 Jahre vor Christus. Neben den omnipräsenten historischen Anleihen kommt die für die Reihe so wichtige Echtwelt-Komponente wieder stärker zum Tragen und verbindet Odyssey dadurch sinnvoll mit der eigenen Vergangenheit. Bekannte Überlieferungen aus jener Zeit sorgen zudem für eine gehörige Portion Mystik, die sich hervorragend mit dem Franchise-eigenen Erzählstrang rund um die erste Zivilisation ergänzt.

Eine prächtige Spielwelt lädt uns derweil zum Verweilen und Erkunden ein. Wir haben die klassischen Meuchelmorde, hitzige Schwertkämpfe mit erstmals aktiven Kampffertigkeiten und erleben regelmäßig bombastische Seeschlachten im ägäischen Meer. All das ist von einem grundsoliden Rollenspielgerüst durchdrungen, das neuerdings auch dafür sorgt, dass wir selbstbestimmt den Ausgang so mancher Situation bestimmen dürfen. Erstmals in der Assassin's Creed-Historie werden wir nämlich zum aktiven Gesprächsteilnehmer und beeinflussen mit unseren Antworten und Reaktionen direkt die Geschichte. Abhängig von den getroffenen Entscheidungen steuert Assassin's Creed Odyssey dadurch sogar auf mehrere Spielenden hin.

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Assassin's Creed OdysseyAssassin's Creed Odyssey
Assassin's Creed Odyssey ist ein gigantisches Spiel, das mit vielen Fehlern ausgeliefert wird. Wer auf erste Updates warten kann, der wird für seine Geduld sicher belohnt.

Ubisoft hat die Action-RPG-Formel aus dem vergangenen Jahr mit neuen Funktionen erweitert. Griechenland wird während des Spiels von einem anhaltenden Krieg zwischen Athen und Sparta geprägt und wir nehmen aktiv auf die Entwicklung dieses Konflikts Einfluss. Schalten wir Generäle, Militärvorräte oder wichtige Schlüsselfiguren des aktuell vorherrschenden Machthabers aus, provozieren wir einen Angriff der Gegenseite. Hier schließt die zweite Neuerung von Assassin's Creed Odyssey an: die Eroberungsschlachten. In diesen Missionen müssen wir die gegnerischen Streitkräfte dezimieren, bevor unsere Verbündeten zurückgedrängt werden. Auf dem Schlachtfeld befinden sich hunderte Kämpfer, denen wir mit wachsendem Fähigkeitenrepertoire meist ordentlich auf die Nase geben. Spielerisch macht es leider kaum einen Unterschied, auf welcher Seite wir in den Krieg ziehen, dafür gibt es jedes Mal neue Ausrüstung und massig Erfahrung.

Schön ist zudem, dass sich die Spielwelt auch ohne unser Zutun verändert. Wie sich die Spannungen zwischen Sparta und Athen entwickeln, das dürfen wir also gerne auch einfach den anderen überlassen. Wenn der Machthaber wechselt, übernimmt die jeweilige Fraktion vorhandene Militäreinrichtungen und das bedingt wiederum die Ausrüstung und Aufstellung der hiesigen Streitkräfte. Wir werden mit diesen Entwicklungen also wieder konfrontiert, wenn wir örtliche Areale infiltrieren und auf veränderte Gegebenheiten reagieren müssen. Neu ist auch die Einführung eines Kopfgeldsystems, mit dem das Spiel unsere Taten bewertet. Morde an Unschuldigen und illegale Taten hetzen zufällig generierte, sehr mächtige Krieger auf uns, die es wahrhaft verstehen, uns das Leben schwer zu machen. Schalten wir einen dieser Kämpfer aus, gibt es frische Ausrüstung und wir steigen vielleicht in der Nahrungskette der Söldner nach oben.

Griechenland erkunden wir auf dem Rücken unseres Pferdes Phobos, aus der Luft in Gestalt des Adlers Ikarus, an Bord eines schlagkräftigen Schiffes oder ganz klassisch zu Fuß. Die abstrahierte Spielwelt erstreckt sich von den makedonischen Halbinseln im Norden bis nach Kreta und überrascht mit einer prachtvollen Fauna und wahnsinnig hübschen Tempelbauten. Mit wunderbar visualisierten Wetterbedingungen, einer atemberaubenden Weitsicht und einem ausgearbeiteten Tag-Nacht-Rhythmus sorgt Ubisoft für die nötige Atmosphäre während unserer Streifzüge - vor allem die dichten Wälder und Felder haben es mir angetan.

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Assassin's Creed OdysseyAssassin's Creed Odyssey
Alle Örtlichkeiten aufzusuchen hat uns über 60 Stunden lang beschäftigt. In kleinen Häppchen macht das sicher noch mehr Spaß.

Wir haben uns diese einladende Spielwelt ganz genau angesehen und nach über 60 Stunden reiner Erkundung sämtliche Inseln und Landmassen auf den Kopf gestellt. Dabei fielen vor allem die vielen mühevoll gestalteten, geschäftigen Siedlungen und Tempelbauten der Antike auf, die regelmäßig den Einsatz des Fotomodus provozieren. Demgegenüber steht der häufige Einsatz weniger, wiederkehrender Versatzstücke, mit denen Ubisoft die Spielwelt künstlich verdichtet. Alle 400 Meter steht ein neues, gleich aussehendes Militärcamp, eine Banditenfestung oder es wartet eine Höhle mit irren Gottesanbetern oder gefährlichen Tieren, die uns mit zufälligem Loot und Erfahrungspunkten lockt.

Leider merkt man Assassin's Creed Odyssey nicht nur an seiner Spielwelt an, dass sich Ubisoft bei diesem Projekt übernommen hat. Der Titel ist derart groß geraten, dass sich der Fokus schnell zwischen sich wiederholenden Mechaniken und belanglosen Beschäftigungen verliert. Große Mengen des gebotenen Inhalts sind für Spieler natürlich optional erlebbar, das hilft uns aber nicht dabei, die prachtvollen Lichtblicke im Questdesign und die interessanten Schauplätze des alten Griechenlands im ansonsten tristen Rest zu finden. Außerdem gibt es noch viele andere Problemherde...

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Assassin's Creed OdysseyAssassin's Creed Odyssey
Ubisoft hat die Action-RPG-Formel aus dem vergangenen Jahr mit neuen Funktionen erweitert.

Das beginnt bereits im Kleinen, etwa beim stark individualisierbaren HUD. Verschiedene Elemente der Bildschirmanzeigen schalten sich regelmäßig selbst an und aus, was meist erst nach einem Neustart behoben wird. Unangenehmer kann es beim Infiltrieren feindlicher Festungen werden: Markieren wir große Gegnermengen und lassen sie hinter unserem Rücken ihre Patrouillen durchlaufen, kann es zu starken Framerateeinbrüchen kommen, wenn sich Wachen selbst anzünden (das passiert übrigens lächerlich oft).

Wegfindung, Transition - also das Klettern - Gegnerverhalten im Generellen, und vor allem die Skalierung von Schadenswerten sind große Probleme in Ubisofts neuem Open-World-Titel und die muss der Entwickler dringend beheben. Wir empfehlen deshalb ausdrücklich, ein paar Updates abzuwarten, denn davon wird die gesamte Spielerfahrung immens profitieren.

Prinzipiell sieht Assassin's Creed Odyssey auf dem Papier nach einer logischen und konsequenten Entwicklung des Assassin's Creed-Franchise aus. Nur: das finale Produkt löst dieses Versprechen nicht ein. Ubisofts Version des antiken Griechenlands mag uns hunderte Stunden in seinen Bann ziehen, die eigenen Stärken kommen aufgrund der vielerorts überladenen Spielerfahrung allerdings nur selten zur Geltung. Im Laufe der Hauptgeschichte entwickelt sich das Spiel zwar weiter und gibt uns zusätzliche Mechaniken und Optionen an die Hand, was einen Teil der oben genannten Kritik entkräftet. Das Entwicklerteam muss sich aber trotzdem den Vorwurf gefallen lassen, die für ein Projekt dieser Größe benötigte Koordination im Verlauf des Schaffungsprozesses irgendwie verloren zu haben. Dieses Urteil fällt umso mehr ins Gewicht, wenn wir den nur ein Jahr alten, deutlich eleganteren und fehlerfreieren Vorgänger in die Betrachtung mit einbeziehen.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Sinnvolle Integration in bestehendes Franchise, starke Momente, gigantische Spielwelt...
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...der es allerdings an Dynamik und dem nötigen Feinschliff fehlt. Viele Problemherde bei Detailfragen. Synchronsprecher und Nebenbeschäftigungen dürfen variantenreicher sein.
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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