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Chorus

Chorus

Vor einer bunten Weltraumkulisse erzählt uns Fishlabs die emotionale Geschichte einer tragischen Heldin. Leider tischen sich die Entwickler diesmal zu viel auf.

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Chorus' Probleme basieren auf der generellen Struktur und insbesondere der erzählerischen Komponente.

Chorus ist ein Sci-Fi-Actionspiel mit Raumschiffen, das mich vor allem mit seinen sehr hochwertig produzierten Vistas überzeugen konnte. Die Präsentation des Universums ist auf semi-offene Sternensysteme begrenzt und die verschiedenen Umgebungen des Spiels entsprechen - insbesondere auf den stärksten, aktuellen Systemen - dem Stand der heutigen Technik. Mit hoher Geschwindigkeit durch das All zu fliegen, wird ansehnlich dargestellt und obwohl Explosionen ein bisschen mehr Nachhall vertragen könnten, dürfen sich die Spezialeffekte insgesamt sehen lassen.

Ein großer spielerischer Fokus von Chorus ist die Zielerfassung, denn wir müssen andere Piloten, Flugeinheiten oder stationäre Ziele präzise unter Beschuss nehmen und gleichzeitig feindlichem Dauerfeuer ausweichen. Um das zu erleichtern, haben Fishlabs einen sogenannten „Drift"-Zustand eingeführt, der es uns auf Knopfdruck ermöglicht, uns frei umzusehen und zu zielen, während die aktuelle Richtung und Geschwindigkeit unseres Raumschiffs beibehalten wird. Beenden wir diesen Gleitzustand, düsen wir in die Richtung, in die wir gerade schauen. Diese Steuerungsmethode ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, doch sie greift die Wendigkeit unseres Pilotenasses sehr gut auf und fühlt sich überaus mächtig an.

Das lineare Fortschrittssystem sieht vor, dass wir uns zwischen den Sternensystemen hin und her bewegen und uns neue Waffen, bzw. Fertigkeiten aneignen, die in klar vorgegebenen Situationen zum Einsatz kommen. Laser und Blitze zerreißen feindliche Schilde, Raketenexplosionen setzen gepanzerten Truppen zu und irgendwann erhalten wir Teleport- und Rammfähigkeiten, für die es ebenfalls spezielle Anwendungsfelder gibt. Wenn diese Elemente in einem coolen Set-Piece oder einer konkreten Herausforderung zusammenkommen, spielt sich Chorus gut weg, doch zwischen diesen Momenten kann sehr viel Zeit vergehen, in der nichts passiert. Die Entwickler bemühen sich natürlich darum, ihre Welt mit einigen Aktivitäten zu versehen, doch der Großteil der Missionen ist karges Füllmaterial.

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Damit sich die in der Regel sehr gleich anfühlenden Luftkämpfe gegen Rauschiffflotten, mobile Flugzeugbasen und Roboterwachtürme in der Schwerelosigkeit aufregend anfühlen, bedarf es eines schönen Ausblicks oder einer konkreten Herausforderung.

Man muss generell immer irgendetwas abschießen oder Bereiche so lange zu scannen, bis man herumfliegende Gegenstände eingesammelt hat. Als Belohnung winken Geld-Credits und unbedeutende Modifikationen, mit denen ihr euer Flugzeug aufrüsten könnt. Ich habe am Anfang noch relativ häufig im Hangar vorbeigeschaut, um meine Schiffssysteme zu optimieren, doch das könnt ihr euch eigentlich sparen. Das Installieren frischer Mods schraubt Prozentzahlen geringfügig in die Höhe, wodurch ihr ein gegnerisches Ziel im Endeffekt vielleicht 0,5 Sekunden weniger lang konzentriert mit Dauerfeuer eindecken müsst. Ab und zu schaltet man etwas frei, das einen merklichen Effekt hat, doch im nächsten Kapitel bekommt ihr Teile, die nochmals besser sind. Sobald ihr die entsprechenden Riten (Fähigkeiten) freigeschaltet habt, verliert die Schiffsanpassung nochmals an Relevanz, da ihr dann auf Knopfdruck Schilde zerstören, Feinde in einer Stase einfrieren oder euch durch Gefahren hindurchteleportieren könnt.

Aufgrund dieser spielerischen Monotonie und der mangelnden Motivation lastet umso mehr Gewicht auf Chorus' Handlung, die leider ein ziemlicher Totalausfall ist. Im Kern der Geschichte steht eine religiöse Sekte, die früher vertretbare Ziele verfolgte, bis sie irgendwann vom rechten Weg abkam. Wir waren der eifrigste Anhänger dieses Kultes, konnten das Unrecht unseres Anführers aber nicht länger mitansehen und sind deshalb weggerannt. Ein paar Jahre lang haben wir uns am Rand der Galaxie über Wasser gehalten, bis uns die Vergangenheit eines Tages einholt und uns dazu zwingt, mit unserer Vergangenheit abzurechnen. Wie bei allen Variationen dieser einen, im Kern gleichen Geschichte muss unsere tragische Heldin am Ende mit sich selbst ins Reine kommen, um das zu erreichen, woran alle anderen vor ihr scheiterten. Naras Charakter ist allerdings nicht weit genug ausgearbeitet worden, um all diese Facetten (er-)tragen zu können. Unsere tragische Heldin ist und bleibt ein leeres Transportmittel, das nie mehr ist als ein Alibi.

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Im Spielverlauf springt Naras mentaler Zustand immer wieder völlig wahllos zwischen hochgezüchteter Massenmörderin, selbstmordgefährdeter Fanatikerin und aufopferungsvollem Mädchen für alles hin und her.

Die Protagonistin ist ein seelisches Wrack, das unzählige Menschen auf dem Gewissen hat. Das Spiel verwendet zu Beginn des Abenteuers viel Zeit, um zu verdeutlichen, wie extrem diese Person unter ihren Taten leidet - und dass sie sich aus eigener Kraft längst nicht mehr von ihrer emotionaler Pein befreien kann. In den meisten Dialogen ist die Pilotin natürlich zu taff und auch zu fokussiert, um sich Fremden gegenüber zu offenbaren. Wenn Schuldgefühle, tiefsitzende, seelische Schmerzen oder sonstige Aspekte der Vergangenheit dann aber doch mal thematisiert werden, ist Nara in der Regel eine weinerliche, hoffnungslose und extrem pessimistische Persönlichkeit, die nichts lieber möchte, als für ihre Sünden zu büßen. Da uns Nara an ihren intimen Gedanken teilhaben lässt, werden die spitzen, kleinen Messer, die ständig an ihrem eigenen Selbstwertgefühl nagen, umso deutlicher.

An ihrer Seite befindet sich ein hochmodernes Raumschiff namens Forsaken (oder kurz „Forsa"), das eine ambivalente, vor allem toxische Doppelrolle einnimmt. Forsa ist Naras „einziger Verbündeter", aber es ist gleichzeitig eng mit ihrem Traumata verwoben. Die Autoren bemühen sich darum, diese intelligente Waffe als selbstständig denkendes, fühlendes Wesen darzustellen, sie kastrieren die Schiffs-KI aber gleichzeitig so weit, dass außer Hass und Rachegelüsten für nichts anderes mehr Speicherplatz bleibt. Wir stehen wir hier also einem Duo bestehend aus einer emotional instabilen Person, die dringend psychiatrische Pflege benötigt, und einer Waffe gegenüber, die ihrem Träger permanent zum Massenmord anspornt.

Die beiden sprechen sich regelmäßig in Rage, zum Beispiel wenn sie sich über das „Jagen" ihrer Beute unterhalten. Beinahe gebetsartig predigen sie im Eifer des Gefechts bedeutungsschwangere One-Liner herunter, die eine enge Verbindung zueinander symbolisieren sollen. Im späteren Spielverlauf „synchronisieren" die Zwei zunehmend miteinander und deshalb beenden sie irgendwann die Sätze des jeweils anderen. Da Fishlabs in Chorus fast ausschließlich abgenutzte Phrasen und bedeutungsschwangere Anspielungen nutzt, um Dinge anzudeuten aber bewusst nicht zu erzählen, ist es insgesamt überaus müßig, längeren Gesprächen und Diskussionen aufmerksam zu folgen.

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Während des Spielens lässt uns Nara an ihren intimen Gedanken teilhaben und die sind extrem verletzend.

Fishlabs' Autorenteam versucht sich an einigen komplexen Thematiken, die alle nur oberflächlich angegangen werden. Ist es für den Verlauf der Geschichte erforderlich, dann funktioniert unsere ach so kaputte Titelheldin natürlich einwandfrei; weil ganz einfach vergessen wird, dass ihre Welt in Scherben liegt. Die Momente der Charakterentwicklung müssten eine unglaubliche Kraft in sich tragen, um die unvorstellbare Gravitation solcher Entwicklungen zu verdeutlichen. Diese Fallhöhe aufzugreifen, daran haben die Leute aus Hamburg aber kein Interesse und deshalb entsteht die Illusion, dass Nara in ihrem Zustand ein Raumschiff mit tödlicher Präzision steuert - oder gar eine Rebellion gegen ein Imperium anzettelt - gar nicht erst.

Dass Fishlabs' ungelenk erzählte Geschichte in diesem eindimensionalen Gut-Böse-Universum keinen Nährboden findet, mag vielleicht nicht für jeden ein großes Problem sein. Ignoriert ihr die jammernde Massenmörderin, könnt ihr in Chorus gemütlich Raumschiffe abschießen und euch an großen Steinen vor leuchtenden Hintergründen sattsehen. Die Action ist solide, die Steuerung griffig und es gibt einiges zu tun, während ihr jede Menge Feinde in Weltraumschrott verwandelt. Wer sich von der Erzählung nicht ablenken lassen möchte, dem dürfte der Spaß aber schnell langweilig werden, da die oberflächlichen Spielsysteme das Game nicht über die gesamte Spieldauer tragen. Was mich daran so sehr frustriert, ist, dass alle nötigen Elemente für ein gutes Spiel prinzipiell vorhanden sind - die Autoren hätten nur ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl beweisen müssen, um ihre Ideen zusammenzubringen.

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Die große Stärke von Chorus ist die technische Präsentation. Leider kann weder die Story noch das Gameplay daran anschließen.
06 Gamereactor Deutschland
6 / 10
+
zufriedenstellende Performance auf Current-Gen-Systemen, visuell anregende Sternensysteme, seichter Spielspaß für zwischendurch, Steuerung ist nicht zu überladen.
-
Story-Konstrukt fällt aufgrund der unglaubwürdigen Protagonistin und ihrer Charakterentwicklung schon nach kurzer Zeit in sich zusammen, Missionen größtenteils ereignislos, viele kleine technische Probleme.
overall score
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