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The Crew

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Zum Einstieg ein seichter Kalauer: Ubisoft hat am 2. Dezember das neue Rennspiel Assassin's Crew Horizon Paradise Unlimited für PS4 und Xbox One veröffentlicht.

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Jaja, ist natürlich nur ein flacher Witz, ich weiß. Der erklärt aber trotzdem ganz gut, was The Crew ist und sein will. Veröffentlicht wurde das Spiel übrigens unter Ausschluss der Gamesjournalisten, die unüblicherweise erst einen Tag vor der Veröffentlichung ihre Muster bekommen haben. Warum? Offiziell sagt Ubisoft, dass das Open-World-Rennspiel mit starker Social-Gaming-Komponente nicht ohne eine größere Menge an echten Spielern überhaupt bewertbar ist. Inoffiziell spielte vermutlich auch die Angst vor dem nächsten Fail eine Rolle.

Dabei muss sich The Crew ganz und gar nicht verstecken. Der erste Eindruck ist positiv, wenn auch alles ganz klar die Handschrift von Ubisoft trägt. Epische Menüs, riesige Weltkarte - die Möglichkeiten wirken überborden, das Rennspiel rast anfangs erstmal mit dem Spieler gegen eine Wand von Möglichkeiten. Der Rahmen wird schnell gesteckt. Wir spielen die Rolle des erstaunlich sympathischen und coolen Alex Taylor. Dessen Bruder ist V8 und damit Anführer der Hehlerbande 5/10. Die Jungs verchecken in ganz Amerika vor allen Dingen Autos, vermutlich auch mehr. Schnell geht so einiges substanziell schief, ein FBI-Mann namens Coburn zieht ein paar Fäden und schon sitzen wir ein halbes Jahrzehnt im Knast. Dann aber kommt die Chance, die Situation zu bereinigen.

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Neue Bereiche auf der Mega-Karte müssen häufiger mit längeren Fahrten erschlossen werden, weil die Schnellreise nur zu bereits erkundeten Gebieten aktiviert werden kann
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Die Story ist generisch, aber tatsächlich sogar ganz okay erzählt für ein Rennspiel. Manche der zentralen Zwischensequenzen sind sogar wirklich imposant inszeniert, insbesondere für ein Rennspiel. Am Ende geht es aber doch nur stumpf um Rache, Ehre, Betrug und Verrat. Ubisoft erwähnt im Press-Kit zum Spiel nicht mal den Namen des Protagonisten, so viel zur Relevanz der ganzen Sache. Der Weg zum Ende der Geschichte ist allerdings sehr lang.

Zwölf ikonische US-Städte und fünf große Areale müssen wir uns erfahren. Die Wege sind lang, 6000 Kilometer Straßennetz ist am Start. Es ist sehr nett in ganz Amerika rumzudüsen von Ort zu Ort. Der Look der Welt ändert sich dabei erheblich, wenn Städte in Vorstädte übergehen und man irgendwann durch Wälder, Wüsten oder die Rocky Mountains prescht - vorbei an legendären Orten wie dem Pentagon oder Cape Caneveral. 1000 solcher realen Orte sind auf der Karte verteilt. Natürlich sieht alles schick aus, aber man wünscht sich trotzdem, dass die Wege etwas weniger an die Überlandfahrten zwischen Bad Pyrmont und Hameln durchs Weserbergland erinnern würden. Denn: Neue Bereiche auf der Mega-Karte müssen häufiger mit längeren Fahrten erschlossen werden, weil die Schnellreise nur zu bereits erkundeten Gebieten aktiviert werden kann.

Das wird trotz der alle paar Kilometer eingebauten Miniherausforderungen immer wieder sehr langatmig, zumal man mit diesen Miniherausforderungen seine Fahrfähigkeiten verbessert. Es gibt acht Varianten, vom Sprung über Slalom bis zum Speedtest wird einiges geboten. Die in drei Klassen (Bronze, Silber, Gold) eingeteilten Gewinne gibt es in Form von diversen Anbauteilen fürs Auto. Und die Herausforderungen verdienen ihren Namen, denn schon Gold ist hart zu kriegen. Und jenseits davon wartet immer noch Weltrekord im Onlineleaderboard, dessen Geist man jederzeit jagen kann. Fein gemacht.

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Das Gameplay des Rennspiels mit Onlinepflicht ist gut verpackt, wiederholt sich aber auch zügig mit wechselnden Protagonisten im Rahmen der Story.
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Neben den Anbauteilen gibt es Geld und Erfahrungspunkte. Investieren kann man die Kohle in neue Lizenzfahrzeuge vom Ferrari über den Ruf-Porsche bis zu einer ganzen Latte US-Muscle-Cars. Für die Wagen gibt es fünf mögliche Setups (Straße, Gelände, Performance, Raid, Rennen), manche dürfen in allen Klassen aufgerüstet werden, manche nur in einer. Cool gemacht ist dabei, dass man auf Basis eines Modells unterschiedliche Setups fahren kann. Ich habe die ersten paar Stundenzeit in einem Nissan 370Z verbracht, der über alle Setups getunt werden kann.

Leider eiert man gefühlt ewig in nur wenigen Wagen rum, denn Autos sind teuer und die coolen Karren meist maximal für zwei der fünf Skills-Sets ausgelegt. Bevor man so eine kauft, denkt man lange nach. Hier könnte der Lebemann nun auch einfach das Echtgeld zücken. Autos gibt es ab 4999 Crew-Credits, 45.000 davon kosten digital 4,99 Euro. Das teuerste Paket bringt 600.000 Credits und bucht 49,99 Euro vom Konto ab. Ein LaFerrari kostet beim Händler 240.000 Crew-Credits. Man kann natürlich auch alles erspielen, aber das dauert. Lange. Sehr lange. Zudem lassen sich bis zu 35 verteilbare Vorteilspunkte für je 2000 Crew-Credits kaufen. Damit bekommt man einen echten Vorteil beim Spielen und ein besseres Fahrverhalten. Auch diese Punkte kann man erspielen, aber das dauert natürlich. Lange. Sehr lange. Ich finde, die Microtransaktionen hätte sich Ubisoft hier schenken können.

Das Gameplay des Rennspiels mit Onlinepflicht ist gut verpackt, wiederholt sich aber auch zügig mit wechselnden Protagonisten im Rahmen der Story. Es gibt Checkpoint-Rennen, Takedown-Rennen, Verfolgungen, Zeitrennen, Duelle. Es gibt Straßenrennen, reinrassige Rallys und Mischformen. Ganz speziell sind lange Rennen, die nur XP, Kohle und Reputation bringen, aber keine Anbauteile. Da sind auch mehrstündige Dauerrennen dabei, was lustiger ist als es zunächst klingt - gerade gemeinsam online mit Freunden. Das überall verfügbare Koop-Feature ist sowieso das große Alleinstellungsmerkmal. Jede Mission im Spiel kann man alleine oder mit bis zu vier Mitspielern in einer Crew absolvieren.

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Den größten Fail liefern die Entwickler aber an manchen Punkten mit der Kollisionsabfrage ab, die streckenweise ein böser Witz ist.

Das ändert je nach Renntyp die Herausforderung im Spiel komplett. Gemeinsam mit anderen einen Wagen zu jagen und per Rammattacken auszuschalten, ist viel einfacher und lustiger. Allerdings werden Aufträge wie das möglichst schnelle und unfallfreie Abliefern eines Sportwagens unter Umständen zur epischen Mission. Anderseits ist es manchmal auch hilfreich, mit einem besseren Spieler unterwegs zu sein, der ein Story-Rennen gewinnt und einen so "mitschleift" durch die Story. Denn alleine kann es ganz schön nervig werden, wenn einen das Hardcore-Gameplay mal wieder extrem fordert. Kein Zurückspulen ist möglich und Fehler werden knallhart bestraft. Das ist aber cool, wenn man sich drauf einlässt. Aber man ist gerade im Solospiel ist man immer wieder kurz davor, den Controller frustriert gegen die Wand zu ballern.

Das Spiel hat nämlich noch massive Probleme mit dem Balancing. In den Missionen sind die Fahrfähigkeiten der K.I.-Mitspieler teils extrem wechselhaft. Entweder sind sie stumpfe Vollnieten oder so viel besser, dass man selbst bei nahezu fehlerfreien Rennen kaum ein Chance hat, ihnen wegzufahren oder sie gar nach einem eigenen Fahrfehler noch einzuholen. Machen sie indes einen Fehler, werden sie durch das unsichtbare Entwicklerkaugummiband innerhalb von Sekunden wieder zu einem herangezogen. Das Fahrgefühl ist immer gut und tendenziell realistischer ausgelegt, so dass man gute Fähigkeiten braucht, um schnelle Autos zu kontrollieren. Hat man das gemeistert, macht einem das Spiel dann gerne einen Strich durch die Skills.

Es nervt gewaltig, dass manchmal Autos aus unsichtbaren Barrieren gefahren kommen, einem die perfekten Rennrunden zerstören und damit meist auch das Rennen. Außerdem verhält sich der Gegenverkehr absolut bescheuert bisweilen, so dass cooles Fahren auf der anderen Spur als Strategie flachfällt. Autos scheren sinnlos aus und zerstören den Flow. Natürlich könnte man nun argumentieren, dass man da nicht fahren soll. Machen die Gegner aber auch. Und denen kann ein Frontalcrash ja nichts anhaben, weil sie schnell wieder dran sind. Ist schon alles extrem unfair bisweilen, aber komischerweise nur in manchen Rennen. Da dann aber ganz schlimm.

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Gerade im Solospiel ist man immer wieder kurz davor, den Controller frustriert gegen die Wand zu ballern.

Den größten Fail liefern die Entwickler aber an manchen Punkten mit der Kollisionsabfrage ab, die streckenweise ein böser Witz ist. Man bleibt hängen, wo man nicht hängen bleiben dürfte. In freier Natur sind selbst dichte Baumgruppen häufig kein Hindernis, innerstädtisch kann einem ein kleiner Busch den Spielfluss blockieren. Jedenfalls weiß man einfach nicht, ob man nun verlässlich irgendwo durchpreschen kann oder nicht. Kleine Bürgersteige werden zu unüberwindbaren Hindernissen. Man prallt an Baumstämmchen ab wie ein ferngesteuertes Flugzeug an der Reaktorhülle eines Atomkraftwerks. Wird im Gegenverkehr bei hohem Tempo wie eine Flipperkugel weggeschossen und fährt fast ungehindert weiter, nur damit einen der kleine Vorgartenpfeiler an der nächsten Kreuzung zerlegt.

Im habe jedenfalls zwischendurch immer wieder an meinen guten Rennspielskills gezweifelt. Aber es ist einfach nur schlecht umgesetzt an diesen Stellen. Rennen können sich tatsächlich schlicht unschlagbar anfühlen, weil das Auto einfach noch zu schwach ist. Dann hilft nur stupides MMO-Grinden. Man muss zusätzliche Miniherausforderungen absolvieren und Anbauteile einfahren, um die Performance des Wagens zu verbessern. Natürlich lassen sich erspielte Anbauteile nicht auf andere Fahrzeugklassen übertragen. Bleibt also nur das Scannen auf der riesigen Weltkarte und das Rauspicken der passenden Events.

Ein weiteres Problem liegt tief im Spielkonzept verborgen. Man kann alle Missionen der Story im Koop spielen, ebenso wie die ewig langen Rennen. Fliegt der Host des Session ab, ist die Mission tot und wird nicht gewertet. Das nervt insbesondere bei längeren Story-Rennen total. Manche Experten kappen natürlich auch mit Absicht die Leitung, wenn sie nicht als erster ins Ziel kommen. Neben dem Story-Koop gibt es auch einen Wettbewerbsmultiplayer. Entweder fährt man zu viert Rennen gegeneinander oder mit zwei Vierer-Crews um die Wette. Wer die Suche dafür anschmeißt und weiter in der offenen Welt unterwegs ist, sollte wissen, dass man für jede PvP-Session ohne Vorwarnung aus der Storymission geworfen wird. Nicht so gut gelöst.

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Epische Menüs, riesige Weltkarte - die Möglichkeiten wirken überborden, das Rennspiel rast anfangs erstmal mit dem Spieler gegen eine Wand von Möglichkeiten.

Neben derart integralen Fehlkonzeptionen gibt es viele kleine Sachen, die nerven können. Komische Designentscheidungen etwa, wie dass die Autos im Schlamm zwar nett dreckig werden, aber dieser Dreck bzw. Schlamm durch den Fahrtwind verschwindet nach kurzer Zeit. Man sieht komische Grafikbugs mit sich überlagernden oder unsinnig zerstörten Fahrzeugen - wobei man klar sagen muss, dass die Optik des Spiels in der Gesamtheit erstklassig ist für so eine fette Spielwelt.

Viel Licht, viel Schatten also bei Assassin's Crew: Horizon Paradise Unlimited. Ich mag The Crew trotzdem. Es macht Spaß, ist zugänglich und liefert dennoch schnell eine brettharte Herausforderung. Es bietet viele Möglichkeiten und ist sicherlich noch ausbaufähig, gerade was die Details und die innere Logik angeht. Vieles davon werden die Entwickler nachträglich verbessern können und müssen. Der Day-1-Patch war nicht das letzte Update. Derweil warte ich aktuell schon 131 Minuten darauf, dass sich acht Leute für eine PvP-Session zusammenfinden. Fünf waren wir schon, das Spiel startet aber erst, wenn die Bude voll ist. Abends geht das auch mal etwas schneller. Spiele ich halt alleine weiter...

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Riesige und sofort komplett offene Spielwelt, schöne Grafik, harte Herausforderungen, Story-Missionen im Koop
-
Kaputte Kollisionsabfrage, Multiplayer unausgegoren, Logikprobleme beim Gamedesign, Bugs
overall score
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KRITIK. Von Christian Gaca

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